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Schraubfallanalyse mit Drehmoment- Drehwinkel- "Abdruck"



von:
Ralph S. Shoberg
President & Technical Director
R S Technologies, Ltd.
37428 Hills Tech Drive
Farmington Hills, MI 48331
übersetzt von:
Dipl. Ing. H.F. Rupprath,
Universal Elektronik GmbH



Um festzustellen, welches Drehmoment auf eine Schraubverbindung gegeben wurde, werden üblich von Hand Überprüfungen des Drehmomentes durchgeführt. Eigentlich aber ist es die Vorspannkraft die verantwortlich dafür ist, ob eine Verbindung ordnungsgemäß funktioniert. Störfaktoren wie Gewindefehler können für ein ausreichend hohes Drehmoment sorgen, während die erforderliche Vorspannkraft weit unter den Erfordernissen liegt.

Figur 1: Rechts die Drehm.-Drehw.-Anzugkurve, links dazu die Lösekurve. Eine neue Methode zur Prüfung der Verschraubungssicherheit ist die Ermittlung des Drehmoment-Drehwinkel-"Abdrucks" einer Schraubverbindung. Dieses Verfahren liefert eine sehr einfache, praktische und aussagekräftige Technik, um die aktuelle Vorspannkraft, welche durch den Schraubprozeß auf eine Verbindung aufgebracht wurde, zu beurteilen. Die Untersuchung des Drehmoment-Drehwinkel- "Abdrucks" einer Schraubverbindung besteht im Grunde darin, die Anzugs- und Lösekurven des Drehmomentes über den Drehwinkel zu untersuchen. Zuerst wollen wir uns dazu diese "Abdrücke" im elastischen Bereich eines Befestigungselementes, unterhalb der Streckgrenze, ansehen.

Die Anzugskurve:

Eine typische Drehmoment-Drehwinkel- Anzugskurve besteht zuerst aus einer nichtlinearen Zone, in der sich die Komponenten ausrichten. Danach erscheint der lineare, elastische Bereich, in dem die Vorspannkraft aufgebracht wird, während gleichzeitig die Teile zusammengezogen werden und die Verbindung sich stabilisiert. Die Teile werden durch die Schraube auf die vorgesehene Vorspannung gebracht. Dieser Teil der Kurve ist eine Gerade mit konstanter Neigung (siehe Figur 1). Wie kann man wissen, daß eine Schraubverbindung wirklich angezogen ist? Es ist immer dann der Fall, wenn die Verbindung so angezogen wurde, daß das Drehmoment über den Füge- und Anlegemomentbereich hinausgegangen und in den elastischen Vorspannbereich gelangt ist.

Der Ausgangspunkt des elastischen Bereichs (AEB)

Wurde der Drehmomentauftrag im elastischen Vorspannkraftbereich beendet, kann man eine Tangente an die lineare Linie des elastischen Bereiches nach rückwärts anlegen. Dort, wo diese Gerade die 0- Linie des Drehmomentes schneidet, befindet sich der Ausgangspunkt des elastischen Bereichs. Wird der Drehwinkel von diesem Punkt bis zu dem Punkt gemessen, zu dem das Drehmoment im elastischen Bereich gestoppt wurde, kann man nachweisen, daß die Vorspannkraft auf einer Verbindung direkt zu diesem Drehwinkelbereich proportional ist. Die Kompression der Teile und die Längung des Befestigungselementes erfolgt in einem linearen Zusammenhang, beginnend am AEB. Selbst wenn die Gewinde- und Unterkopfreibung verändert wird, ist feststellbar, daß die innerhalb des elastischen Bereichs erzeugte Vorspannkraft immer vom AEB an proportional zum Drehwinkel ist. Untersucht man eine Verbindung, bei der ein größeres Anlaufdrehmoment vorhanden ist, muß die nach rückwärts angelegte Projektionstangente bei diesem Anlaufdrehmoment enden, als Ausgangspunkt des elastischen Bereichs, statt bei der 0-Drehmomentlinie. Der Anzugswinkel wird dann von diesem Punkt aus bis zu dem Punkte gemessen, an dem das Endanzugsmoment im elastischen Bereich gestoppt wird.

Die Lösekurve:

Wird eine Verbindung gelöst, kann eine Drehmoment- Drehwinkel- Lösekurve aufgezeichnet werden, welche eine Umkehrung der Anzugskurve darstellt (s. die linke Seite von Fig. 1). Dieses Verfahren zur Ermittlung der Vorspannungsverhältnisse kann man als Lösewinkel-methode bezeichnen.
Eine Tangente, rückwärts gezogen von der linearen zur 0- Linie des Drehmomentes, ermittelt den AEB. Der Drehwinkel von diesem Punkt bis zu dem Punkt, zu dem der Lösevorgang gestartet wurde, ist eine direktes Maß der Vorspannkraft, die aus dieser Verbindung freigesetzt wurde.
Experimente mit Schrauben, die mit DMS- Brücken versehen wurden und mit DMS- Meßringen, welche die Vorspannkraft dazu messen, zusätzlich mit dem gemessenen aufgebrachten Drehmoment und dem Drehwinkel zeigen eindeutig, daß die hier vorgetragene Theorie für jede mögliche Schraubverbindung gültig ist.
Um dieses Verfahren des Drehmoment- Drehwinkel- "Abdrucks" in der Praxis anzuwenden, wird zur Messung und Darstellung der Kurven ein Drehmoment- Drehwinkel- Transientenrekorder benutzt. Die Kurven können hier an einem Bildschirm untersucht und gedruckt werden.
Die Abdrücke für Anzug-, Löse- und Kontrollkurven einer Schraubverbindung können gleichzeitig angezeigt und gedruckt werden.

Figur 2: Lösekurvenuntersuchung an einer Fahrzeugradmutter.

Fig. 2 zeigt eine Untersuchung mit einer Lösekurve an einer Fahrzeugradmutter. Ein Werkzeug mit einem Drehmoment- Drehwinkelsensor, angeschlossen an einen Transientenrekorder, wird benutzt, um die Mutter zu lösen, die Werte für das Drehmoment und den Lösewinkel aufzunehmen und um die Daten aufzuzeigen. Als Ergebnis zeigt die Kurve ein extrem hohes Lösemoment. Mit der beschriebenen Lösekurvenmethode wird eine Tangente (gestrichelt) zur 0-Drehmoment- Geraden gezogen. Der Lösewinkel, gemessen vom Lösedrehmoment bis zum Punkt, in der die Tangente die 0-Drehmoment- Gerade schneidet, ist direkt proportional der freigesetzten Vorspannkraft.
Oberhalb der Streckgrenze


Figur 3: Ermittlung der Vorspannkraft oberhalb der Streckgrenze
Wird ein Befestigungselement über die Streckgrenze hinaus belastet, kann die Drehmoment- Drehwinkel- Abdruckmethode ebenfalls angewendet werden, um den AEB festzustellen. Dazu wird neben der Tangente zur Ermittlung des AEB mit einer zweiten Tangente über den Streckgrenzpunkt hinaus nach oben gezogen, gleichzeitig vom Punkt des maximal aufgebrachten Drehmoments eine waagerechte Linie auf die vorgenannte Verlängerung hin zum Schnittpunkt gebracht. Eine Senkrechte auf die Winkelachse ergibt zum Ausgangspunkt des elastischen Bereiches den Vorspannkraft-winkel. Die zusätzliche Vorspannung oberhalb der Streckgrenze entspricht dem Betrag an Drehwinkel, relativ zur geraden, elastischen Portion zum Punkt des maximalen Drehmoments und ist nicht proportional zum gesamten Restdrehwinkel nach der Streckgrenze.
Wird eine Lösekurvenuntersuchung an einer Verbindung durchgeführt, die über die Streckgrenze hinaus angezogen wurde, wird eine gleiche Projektion am elastischen Teil der Kurve durchgeführt.

Lösetendenzen

Die Winkel- Lösekurvenuntersuchung wurde in der Praxis erfolgreich angewendet, um die Tendenz von Schraubverbindungen sich zu lösen zu untersuchen. Bei dieser Anwendung wird zuerst die Anzugskurve aufgenommen, der AEB ermittelt und der Winkel vom AEB bis zum Endanzugspunkt. Nachdem der Verbindung erlaubt wurde sich zu setzen, z.B. über Nacht oder in einem Wärmezyklus, wird sie gelöst und die Lösekurve untersucht. Dabei wird der Lösewinkel im elastischen Bereich ermittelt und mit dem beim Anziehen verglichen. Sind die Winkelgrade nicht gleich, wird der Verlust festgestellt, der gleichzeitig dem Betrag an Vorspannkraftverlust entspricht.
In einer Untersuchung wurde eine Verbindung mit 120o angezogen. Über Nacht hatte sich durch Setzen ein Lösewinkel von 20o ergeben. Da sich bereits Teile gelöst hatten, war dem Hersteller schon klar, daß ein Problem vorlag. Das Ergebnis der Untersuchung zeigte eindeutig einen Verlust von 80% der Vorspannkraft über 12h. Die Lösekurvenmethode ergab eine quantitative Antwort auf die Frage, wieviel Vorspannkraftverlust vorlag und zeigte auf, daß das Teil neu zu konstruieren war.
Die Methode ist auch dann wertvoll, wenn es gilt, kurze Schrauben zu untersuchen und Schrauben, die Verbund-werkstoffe oder Kunststoffteile zusammenhalten. Auch hier wird die Anzugskurve aufgenommen, dann werden die Teile in einen Wärmeschrank gelegt und die geeigneten Temperaturzyklen durchfahren. Anschließend wird die Löskurve daraufhin untersucht, um welchen Winkelverlust durch plastisches Setzen die Vorspannung reduziert wurde. Durch Ändern der Geometrie, durch Verwendung von U- Scheiben usw. können die thermischen Effekte quantitativ bestimmt und die Verbindung abgesichert werden.

Genauigkeit der Messung

Die Drehmoment- Drehwinkel- Abdruckmethode (DDA) ist besonders nützlich bei der Untersuchung von Sicherheitsverschraubungen. Ein geübter Fachmann kann mit dieser Methode Ergebnisse mit einem Fehler von etwa 5% und kleiner erzielen.
Zusätzlich kann mit der Drehmoment- Drehwinkel- Abdruckmethode neben den Einflüssen aus Setzungen auch die Leistung von Schraubwerkzeugen hinsichtlich der erzielten Vorspannkraft untersucht werden. Dies gilt insbesondere für Impuls- und Schlagschrauber, die mit großer Geschwindigkeit und durch stetigen Stop und Go in Bezug auf die Bewegung und die Reibung besondere Verhältnisse aufweisen gegenüber kontinuierlich arbeitenden Schraubwerkzeugen. Teilweise kann unter solchen Bedingungen ein recht hohes Drehmoment angezeigt werden, während demgegenüber die Vorspannkraft auf Grund von Randbedingungen wie z.B. dem Schwingungsverhalten sehr niedrig ausfällt. Das Prüfen einer so angezogenen Verbindung mit der Lösekurvenmethode ergibt sofort, ob ein ausreichender Lösewinkel und damit eine ausreichende Vorspannkraft erzielt wurde.
Diese Methode der Überprüfung von Verbindungen zeigt klar auf, inwieweit ein Werkzeug in der Lage ist, eine ausreichende Vorspannkraft in einer Schraubverbindung aufzubauen. Im Vergleich zum Prüfen des Losbrech- oder Weiterziehmomentes liefert dieses Verfahren einen direkten und viel aussagefähigeren Bezug zur Vorspannkraft in einer Verbindung.

Zusammenfassung

Die Analyse des Drehmoment- Drehwinkel- "Abdrucks" einer Schraubverbindung ist ein einfaches, praktisches und aussagekräftiges Verfahren. Die Methode ist begründet auf der grundsätzlichen Physik von Schraubverbindungen, sie kann auf Verbindungen aller Größen und Schraubenlängen angewendet werden. Während es zwischen 75 bis 100 Faktoren gibt, welche die Vorspannkraft einer gegebenen Schraubverbindung beeinflussen können, liefert die Analyse des Drehmoment- Drehwinkel- "Abdrucks" eine direkte Aussage über die letztendlich erreichte Qualität, d.h. die Vorspannkraft.


Anmerkung des Übersetzers:
Auf Wunsch stellen wir Ihnen die in englischer Sprache vorliegenden weitergehenden Unterlagen mit den zugehörigen mathematischen Abhandlungen zur Verfügung.
Dieser Aufsatz wurde veröffentlicht in:
Fastener Technology International, Febr. 1996
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